Dieser Aufsatz ist erschienen im Bargfelder Boten 160-161 / Januar 1992 Seite 28-30.
Die Wiedergabe erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors,
Herrn Prof. Dr. Jörg Drews als Herausgeber und des Verlages edition text+kritik, München.

G. Erol Öztanil

Durchs wilde Schauerfeld
Notizen zu einem prominenten Schauplatz der neueren deutschen Literatur

"Von mir=aus kann man mich uff'm SCHAUERFELD begrabm." ("Zettels Traum" 999 mo)

 

Wer das in der Nähe von Bargfeld am Weyhausener Weg gelegene Schauerfeld aufsucht, um, wie einst "Dän, Paul, Wilma und Fränzel", das "campus horrorum" [6 mm] abzugehen, tut gut daran, sich auf ein umfangreiches Abwehr-"System" [5 mo] einzustellen, das unliebsame ,Inspizienten' auch heute noch fern zu halten versucht. Freilich, den so melodiös das Reich des "Wortmetzen" einläutenden Stacheldraht gibt es nicht mehr. "Am WegeGrabm" [4 mu] - mit Sicherheit dürfte die seinerzeit veranschlagte "Strömungsgeschwindigkeit" [4 mu] desselben von "15 cm pro secunde" [5 mo] sich doch um einige "cm" verringert haben -, "zu Anfang des Schauerfelds" liegen nur noch ein paar verrottete Holzstümpfe, denen schon längst die ,aufgespannten Seiten' abhanden gekommen sind. Ob nicht längst einige eifrige Schmidt-Sammler das ihrige dazu beigetragen haben, daß diese Stelle so merkwürdig leergeräumt aussieht?

Eine "stachlije Angelegenheit" [5 mo] bleibt es dennoch, den keine 10 Meter breiten und knapp 500 Meter langen "wunderlichen Acker" [10 ru] entlang zu stapfen: "dies erste Distel=Drittel". "Du, dass ,ss Absicht: gegen Camper! Solcher Vorrichtungen triffs Du gleich noch mehrere an." [5 mo] Und richtig! Kaum hat man das sumpfig wirkende Distel-Feld durchquert und sich in den Schatten einiger Birkenbäumchen begeben, wartet der von Wilma entdeckte "rostije Stacheldrahtknaul in den langen Nesseln" [5 mo]. Was wohl noch alles zum "System" gehört und nicht von Dän erwähnt wurde? Und es wird einem doch ein klein wenig mulmig bei dem Gedanken, daß sich unter dem Schauerfeld Stollen und Schächte befinden sollen; denn wer möchte schon so tief fallen wie der in den Mondkrater gestürzte Charles Hampden im "Mare Crisium"? Mittlerweile befinden wir uns auf "Schritt 88" [5 mu]. Halt! Wo sind denn die...? Nach einigem Suchen findet man sie dann, die "Trümmer der Wasserleitung. (Paar Zementbrocken; ehemalije Kühleins=Tränke): "Heutzutage pumpen sie sich das Wasser selber: mit den Köpfen" [5 mu - 6 mo].

Apropos Wasser! Es empfiehlt sich für Getränke, welcher Art auch immer, selbst zu sorgen; denn wer meint, er müsse nur nach einem "scharf gesensten Pfad" Ausschau halten, der ihn dann, einmal eingeschlagen, unweigerlich zu dem "hinter 5 Jung=Birken" aufgestellten "Melker=Schränkchen" [6 mu] mit dem darin von Pagenstecher gelagerten "Dreindreißichndriddl" prozentigen "Ingwer=Liqueur" [7 mo] führen wird, dem sei die Enttäuschung erspart und gesagt: Dieses "Schränkchen" gibt es nicht (mehr?), wenn es denn je eins auf dem Schauerfeld gegeben hat. Doch weiter geht's. Zwei kräftige Züge (aus der mitgeführten Feldflasche' die nicht mit "Münsterländer" oder "Liqueur"' sondern einfach nur mit Wasser gefüllt ist) und zweiunddreißig Schritte später lenkt ein vor einer Birkengruppe plazierter (?)Findling die Aufmerksamkeit auf sich. Sollte hier etwa... "& dämonstrirend mit dem Finger ans Holz getipp'd" ... "Mso - : es mögen nun wohl rund an die 120 Jahre her sein; -: daß Bauern... hier 1 Dichter verscharrt habin, der sie öfters beschrieb. - An dem Faktum=selbst ist nicht zu zweifeln; (Ich zeig' Euch dann, wenn Ihr durchaus=wollt, die herrlich=einschlägijen ,STECKBRIEFE', im ,AmtsBlatt für das Königreich Hannover"' [11 mm]. Mögen die Steckbriefe auch durchaus existieren - eine Anfrage bei der Arno Schmidt Stiftung mag zur Klärung beitragen -, so dürfte doch die von Dän so vorgetragene schaurige Mär "vom erschlagenen Autor" [13 mo] das Produkt seiner DP-Phantasie sein, oder? "MUUHHH"! ... da 1 Bullenkälbchen herbeihüpfte; und vor Lust ob des seltnen Besuchs ein unförmiges Geschrei anhob" [5 mo]. Was tun? Aber bitte: "Keine weiten Gebärden (Sonst erschrickt er unnötig)"; dann die Tonlage eines "ganz ruhige(n)" und "sichere(n) Brummstimmchens" einnehmen, in der man etwa folgendes von sich gibt: "Nu=Du=Ding=Du: Du has' ma Öhrdl!" Ganz zu schweigen von Deiner todschicken "Pony=Frisur"! Tja, und dann müßte man merken... "SiehsDu: er versteht Dich schon" [5 mm].

Doch dieses "Bullenkälbchen" war offensichtlich mit den ersten Seiten von ZT nicht ganz so vertraut, wie man es eigentlich hätte erwarten können. Im Gegenteil! Schon setzt es sich "immer (B)Rahma=bullijer" in Bewegung, "immer näher ad Zaun" [4 lm] bzw. was von diesem aus dem Sommer '68 noch übriggeblieben ist, und das ist wahrlich nicht mehr sehr viel. Gerade an dieser Stelle (wer es nachprüfen will: auf Schritt 342) haben sich zwei Holzstümpfe einladend schief gen Boden geneigt, während der einst so erfolgreich abwehrende Stacheldraht wilde Kapriolen-Kurven im Riedgras schlägt und nicht den Eindruck macht, einen "Halbtrauer"-Sturm erfolgreich abwehren zu können. Demnach sollte man lieber die Seite wechseln und im dicht mit Kiefern und Birken bestandenen letzten Stück dieses wahrlich singularly wild place" [4 mm] untertauchen. Noch ein paar Jährchen und man wird ein Buschmesser zu Hilfe nehmen müssen, um sich hier den Weg zu bahnen. Allerlei Geäst liegt auf dem Boden, Büschel und Farn bieten reichlich Unterschlupf für Mücken, Bremsen und für was weiß ich noch. Die Bäume stützen sich - ganz altersmüde - schon gegenseitig, und bereits ein laues Lüftchen ruft ein verdächtiges Knarren und Ächzen hervor. Vielleicht sollte man doch mal die Leute von der Stiftung informieren, daß hier ein Stück Literaturgeschichte am ver-s(ch)auern ist. Könnten allerdings dann auch schnell auf den Gedanken kommen, Eintritt für die Besichtigung desselben zu nehmen. Also doch lieber den Mund halten und "langsam weiter". "Hier eine Spinne, die eine Spinne aussog" [23 mm]. Dort ein sich im Flug begattendes Libellenpärchen, das sich für kurze Zeit auf einem Distelkranz eine Pause gönnt. - Was ist das? "Da vorne war" eine "Wurzel eben aufgesprungen" und kam "in ihrer Verwirrung, ganz dicht bei" mir "vorbeigerast" [23 mo]. Ach so, nur "ein Hase!" [23 mo] Nun mußte aber doch endlich hier irgendwo... ein Blick auf den "GrundRitz"... hier, es gab kein besseres Plätzchen für das von Pagenstecher imaginierte "Hüttlein" [746 rm]. "3 Stellen gäb's auf dem 500 m=Streifen - dasheißt die vorderste, (vom Weg her gerechnet), scheidet wohl aus: da wird man zu leicht gesehen. - Die zweite iss schon sehr=schön" [746 rm] ... die dritte übertrifft schließlich alles. Dagegen liegt das Haus Nr.37 am Kronsberg geradezu im Zentrum der "lauten" und "aufgeregten Welt" [BA 1/2, 141]. Ein Birken-Viereck würde sich um das kleine Häuschen mit seinen 22 m2 schmiegen und es völlig verschwinden lassen. An drei Seiten unwegsames Gelände, das nur mit äußerster Mühe zu bewältigen wäre, um letztendlich am hier nunmehr doch wieder neu installierten mannshohen Stacheldrahtverhau zu scheitern. Versteckte Tümpel und morastige Rinnsäle... mist, schon passiert... würden das ihrige dazu beitragen, "schreiendes Volk" femzuhalten. Die Bewohner wären in farblich an die Umgebung angepassten "Kittelchen" gekleidet und würden sich ganz dem Genuß der "sußen=sonnijen Einsamkeit" [746 rm] hingeben. Wahrlich, hätte Arno Schmidt, respektive sein Alter ego Daniel Pagenstecher, sein "ZweitHaus ... ,ff(s) Schauerfeld" [842 rm] gesetzt, es wäre mit Sicherheit die Verwirklichung seines Traum-Domizils gewesen: "... im wildesten Teil des Feldes ein besseres Schüppchen" [746 ru]. "Zur Tapetentür muß der Schlüssel verlegt sein. (und die Leute vergessen haben, daß dort noch ein Zimmer war.) Stille. Nicht mehr aufgefunden. Niemand mehr sehen.: Vertrocknen. (Halt son Ideal, nich?]" [BA 1/2, 101].

 

Soweit nicht anders vermerkt, stammen sämtliche Zitate aus:
Arno Schmidt, Zettels Traum, Karlsruhe (Stahlberg) 1970.