Schauerfeld - Mitteilungen der Gesellschaft der Arno-Schmidt-Leser - 12. Jg. 1999 Heft 4

Rainer Hendricks

» Kann ich mal das Gästebuch haben, Frau Schnabel ? «

"Ah : hier ! (Und welche Handschrift gleich wieder : also wenn das nicht hypergenial ist !)." So oder ähnlich hätte die gute Nachricht an die Schmidt=Leser beginnen können - aber jetzt steht es eindeutig fest: das Gästebuch von Bösenbergs in Ahlden an der Aller ist nicht mehr vorhanden. Kein "Ihr werd't Euch wundern !" ins Auge springen. Aus und vorbei.

Zurück in das Jahr 1954: Arno und Alice Schmidt sind aus Kastel angereist, um die Kulisse für den Roman "Das steinerne Herz" zu inspizieren. Sie wohnen am 26./27. Juli und nach der Rückkehr aus Berlin noch einmal vom 4.-7. August 1954 im Gasthaus Bösenberg, ganz in der Nähe des Bahnhofs. Alice Schmidt notierte in ihrem Tagebuch, daß sie nach dem Frühstück des zweiten Tages zunächst die Sehenswürdigkeiten im Ort besichtigten (Schloß, Kirche, ...) und dann zunächst zum Mittagessen ins Gasthaus zurückkehrten, was im StH wieder verwendet wird: "[...]» Selbstverständlich ! Geh ich heut nochmal ins Gasthaus essen. - Bösenberg ? Am Bahnhof ? Ist das Solideste ? ! Also von hier aus immer rechts : ah : Danke ! « ) . -"

Am Nachmittag sahen sie sich einzelne Häuser an, wurde fotografiert und notiert, unter allerhand Aufsehen unter den Leuten und der Dorfjugend. Einzelne Eindrücke aus dem Gasthaus Bösenberg am Mühlendamm verarbeitet Schmidt im Mai 1956 in der kleinen Erzählung Rivalen: "In der Wirtshausstube; beim Frühstück (7 Mark 50 pro Tag, für 1 Zimmer mit 2 Betten, Essen und übernachten, war nicht zu teuer. Zumal sich die Wirtin, pausbackig rundherum, wirklich Mühe mit den Mahlzeiten gab [...]" und "Ein Wirtshaus voller Standuhrticken, gelber Mittagslichter, und böser=meiner Gedanken."

Der Wirt kommt bei Schmidt nicht so symphatisch weg: "[...] wahrscheinlich stand Langmichel Grinsemaul auf, der Wirt (der natürlich irgendwie anders hieß; ich weiß auch genau, wie; will aber nicht)" oder etwa "Langmichel Grinsemaul fläzte mir das Diner auf den Tisch" – doch genau dieser Wirt hatte Schmidt auf die Idee gebracht, wie er den Schauplatz I/III (Ahlden) und II (Berlin) verbinden könne. Josef Huerkamp las im Nachlaß: "Das Tagebuch berichtet von freundlicher Aufnahme. Ach du liebe Zeit! Sogar eine Art Familienanschluß ist inbegriffen. [...] Abends sitzt man mit dem Wirtsehepaar in der Gaststube und dahlt. [...] Der Wirt, ehemaliger Offizier und Großsprecher, Schmidt deswegen ziemlich unangenehm, hört, daß sein Gast ein Schriftsteller sei, auch noch ein moderner. [...] Der Wirt nämlich erzählte so ganz nebenbei, daß ein von Rethem über Ahlden nach Berlin fahrender Molkerei-LKW immer auch mal Reisende mitnehme." Beim zweiten Ahlden-Aufenthalt wird auf einer Bank so lange gewartet, bis der Milchwagen tatsächlich vorbeikommt.

Während eines Gespräches im August 1999 berichtete eben diese Wirtin, Frau Jodeit, geborene Bösenberg, daß zu ihrer Zeit alle Gästebücher bis in die Zeit der 1920er Jahre hinein noch vorhanden waren. Später wurde das Gasthaus an Pächter vermietet. Als das Gasthaus Anfang der 1970er Jahre aufgelöst wurde, waren nicht nur sämtliche Gästebücher verschwunden... Frau Jodeit grämt sich seit Jahren, daß sie sich gegenüber den Pächtern nicht resoluter gezeigt und die Bücher an sich genommen hätte. An die abendlichen Gespräche mit dem Ehepaar Schmidt konnte sie sich nicht mehr erinnern.