Schauerfeld - Mitteilungen der Gesellschaft der Arno-Schmidt-Leser - 13. Jg. 2000 Heft 2

Rainer Hendricks

"Die hätten fragen müssen, ob einem das recht ist."

Zu Besuch im Schauplatz des steinernen Herzen.

Nehmen wir einmal an, Sie harken Herbstlaub in Ihrem Garten oder putzen das Küchenfenster; werden von fremden Leuten dabei fotografiert und erfahren erst Jahre später, daß in Ihrem Haus ein Roman spielte. Welche Erfahrungen machen die Bewohner mit Schmidt=Lesern? Im letzten Sommerurlaub sprach ich mit Frau Helga Worch, Eigentümerin des Hauses "Nr. 31" in Ahlden:

R.H.:

Wann haben Sie zum ersten Mal Das steinerne Herz gelesen ?

H.W.:

Also, mich sprach auf der Straße einer meiner ehemaligen Lehrer an: "weißt Du überhaupt, daß in Eurem Haus schon mal ein Schriftsteller gewohnt hat?" Und da habe ich gesagt: "nein". Und dann sagte er: "ich hab' das Buch, soll' ich Dir das mal leihn, möchtest Du das mal lesen?" Und dann haben wir uns kurz über Arno Schmidt unterhalten. Er hätte gehört, der hätte hier ganz kurz gewohnt. Er hat alle markanten Stellen im Buch angekreuzt - es würde sich etwas stolperig lesen, etwas schwierig aber wenn man sich reinliest würde man sich dran gewöhnen und es wäre interessant. Darauf hin habe ich das Buch gelesen. Das muß Mitte der 1970er Jahre gewesen sein.

R.H.:

Hatte der Lehrer nur die Stellen angestrichen, die das Haus betrafen oder ganz Ahlden?

H.W.:

Er hatte hauptsächlich die markanten Namen angestrichen - außer den Berlinern. Außer Karl und Frieda gab es die anderen Namen hier in Ahlden, natürlich in anderem Zusammenhang, Hoppenstedt und wie sie alle hießen.

R.H.:

Sie haben auch ein Exemplar zum Signieren zu Arno Schmidt geschickt?

H.W.:

Das sind die beiden Bücher, die ich jetzt verkauft habe. Um 1977 habe ich die dahin (nach Bargfeld) geschickt. Da wurden wir bzw. unser Haus schon laufend fotografiert. Einer hat mir den Tip gegeben, das muß einer der Besucher gewesen sein: "um Gotteswillen nicht gleich hinschicken, Sie müssen erst die Frau (Alice Schmidt) fragen, die managt das alles." Dann habe ich eine Postkarte hingeschickt, Frau Schmidt schrieb zuück, ich solle mal ein Buch schicken - eine nette Karte. Statt einem habe ich dann zwei geschickt: Windmühlen und Das steinerne Herz. Nach acht Tagen kamen die Bücher zurück, da habe ich mich gefreut.

R.H.:

Nachdem der Roman erschienen war, kamen wohl die ersten Touristen. Damals wohnte noch die Frau Henke hier. Herr Leisering schrieb, daß die Frau Henke Eigentümerin des Hauses war.

H.W.:

Das hat nie gestimmt, Frau Henke war Mieterin. Sie hat zu der Zeit für 40 Mark Miete im Haus gewohnt, 35 Jahre lang. Uns blieb der Zugang bis September 1973 verwehrt, weil Frau Henke noch ihren Geburtstag in unserem Hause feiern wollte.

R.H.:

Sie erzählten, daß in dem Hause auch Flüchtlinge wohnten. Einer von ihnen war der Schneider Knoop. Er hat hier gewohnt und in der Lindenstraße gearbeitet?

H.W.:

Ja, dort hatte er seine Schneiderei. Dazu weiß ich aber nichts Näheres. In den beiden Zimmern (rechts im Erdgeschoß) hier im Haus wohnte das Ehepaar Knoop, danach die Familie Grabowski.

R.H.:

Wie war das nun mit den Schmidt-Lesern?

H.W.:

Als ich Das steinerne Herz gelesen hatte, merkte ich, daß fotografiert wurde. Meine Tochter hatte noch keinen Zaun vorm Grundstück (das ist das Nachbargrundstück mit dem Holzschuppen, wo der Standesbeamte Ettmer wohnte). Die Grundstücksgrenze war noch nicht zugewachsen. Die Leser und Interessierten haben dann alle Lücken zum Fotografieren genutzt, von vorne von der Straße sowieso. Von der Wiese, bei den Rindern, kamen sie nicht. Das mit dem Fotografieren kam etappenweise, da war wochenlang garnichts, dann wieder mehrere oder auch mehrere Tage hintereinander. Im Moment ist es ruhiger geworden - jetzt war lange Zeit niemand da.

R.H.:

Kam auch mal ein Touristenbus?

H.W.:

Nein, eine ganze Touristenladung nicht, aber einzelne Gruppen, Grüppchen. Zuerst wußte ich gar nicht, worum es sich handelt, ich wollte sie nicht alle darauf ansprechen. Ich hab mich zuerst gar nicht drum gekümmert, nur nachher hat mich gestört, daß man mit Gartenklamotten, kurzer Hose, einfach mitfotografiert wurde. Die hätten fragen müssen, ob einem das recht ist.

R.H.:

Kamen auch Studenten?

H.W.:

Am häufigsten von der Uni Münster, Bielefeld auch.

R.H.:

Haben Sie mal Schmidt-Leser angesprochen?

H.W.:

Meistens haben die sich einfach verdrückt. Es waren vereinzelt Nette dabei, mit denen man auch richtig ins Gespräch kam.

R.H.:

Was wurden Sie von den Besuchern gefragt?

H.W.:

Ob ich das wüßte, wie der hier gelebt hätte, wo in diesem Haus.

R.H.:

Einmal hatten Sie auch das Fernsehen vom NDR zu Besuch?

H.W.:

Die kamen mit einer tragbaren Kamera, hier rund herum, und haben mich befragt. Oben aus dem Dachfenster haben die auch gefilmt. Arno Schmidt sollte zu einem seiner Geburtstage ein Interview dazu geben. Die haben hier in Ahlden Aufnahmen gemacht und wollten dann noch nach Bargfeld. Es ist daran gescheitert, daß sie kein Interview gekriegt haben. Es wurde dann nicht gesendet. Das war Mitte der Siebziger Jahre. Der Schmidt war wohl sehr menschenscheu; das sagten auch alle mit denen ich so gesprochen hatte.

R.H.:

Wird in Ahlden über Schmidt gesprochen?

H.W.:

Überhaupt nicht. Die meisten Leute sind ahnungslos. Nur ganz Wenige wissen, daß hier überhaupt so etwas gewesen ist. Ich muß ehrlich sagen, daß wundert mich. Entweder wissen sie nichts davon oder sind uninteressiert.
Mich wundert, daß diese ganzen Schmidt-Sachen nur immer in Cordingen laufen.

Das Interview mit Frau Worch wurde aufgezeichnet am 19.07.1999 im Hause "Nr. 31" in Ahlden an der Aller. Könnte fortgesetzt werden, vom Bomlitzer Forum etwa: »Kolonie Hünzingen, Herr Landrat.« »Nein ! : 64 ! – Nummer 64.«