Schauerfeld - Mitteilungen der Gesellschaft der Arno-Schmidt-Leser - 11. Jg. 1998 Heft 4

Rainer Hendricks

http://www.en-infonet.de/gaeste/ahlden/home.htm

Eine virtuelle Reise durch den Flecken Ahlden und "Das steinerne Herz"
oder
eine neue "Illustrierte Ausgabe"

 

Es gibt Lieblingsautoren und Lieblingsbücher. So ein Lieblingsbuch ist bei vielen Arno Schmidt Lesern eben dieses "Steinerne Herz" – aus unterschiedlichen Gründen. Nicht umsonst bezeichnet Josef Huerkamp diesen Roman als einen "Baedeker für Ahlden". Wenn Schmidt von "Bildkraft üben" schrieb, meinte er das Umsetzen gesammelter Eindrücke in assoziationsreiche, hochkomprimierte Sprache - auch bekannt unter "schärfste Wortkonzentrate". Der Leser steht vor der Aufgabe, diese Konzentrate wieder in Bilder zurückzuverwandeln. Die Sekundärliteratur zu diesem Roman ist reichhaltig; dennoch: Bilder und "Wanderkarten" für den Leser sind rar. Nach wiederholtem Lesen des "StH" war bei mir der Wunsch nach einem (hoffentlich vorhandenen) Bildband geweckt. Um es vorwegzunehmen: ich wurde nicht fündig sondern beschloß, den Bildband selbst zu machen, aber so, daß er möglichst vielen Interessierten zugänglich sei. Zur Materialsammlung wurden die vorhandenen Arbeiten untersucht:

Wilhelm Michels schenkte Arno Schmidt zu dessen 50. Geburtstag eine "illustrierte Ausgabe" des "Steinernen Herzens". Im 1987 herausgegebenen Briefwechsel zwischen Michels und Schmidt sind die Motive der Fotos 1 bis 34 aufgezählt. In der Arno Schmidt Stiftung / Bargfeld verschaffte mir Bernd Rauschenbach freundlicherweise Einsicht in Schmidts Exemplar (lfd. Nr. 1 der Serie "rot"). Abgesehen vom dokumentarischen Wert zweier Fotos, auf denen Schmidt unbeteiligt-geniert vor Oetters Laden bzw. "Nr. 31" steht, war kaum etwas für das Projekt zu gebrauchen (vielleicht könnten die Michels-Fotos doch einmal in den Anhang aufgenommen werden ? – (wegen des dokumentarischen Wertes !)).

Der von Guido E. Öztanil für 1995 angekündigte Bild- und Dokumentarband ging nicht über das von Wilhelm Michels Zusammengetragene hinaus.

Aus philologischer Sicht hat Josef Huerkamp feinste Details erklärt ("Nr. 8"). Er druckt auch eine kleine Karte von Ahlden ab ("Gekettet an Daten & Namen"); jedoch werden nur 12 Textobjekte eingezeichnet. Davon sind leider zwei Eintragungen an der falschen Stelle (Stelter und Wildung) und von den restlichen Objekten nur die offensichtlichen und bei einem ersten Spaziergang bereits sichtbaren Objekte aufgezeigt (Ausnahme: alte Post und Dentist Schütte). Im Sommer 1998 lieferte er wertvolle Details und exakte Karten zu Schmidts Ortsbesichtigung im Vorfeld der Niederschrift (BB 227-230, 231-233), doch die Lücke bei den "Romanobjekten" wurde bislang nicht geschlossen.

Bei den Überlegungen zu einer eigenen Realisierung sprachen mehrere Gründe für das neue Medium Internet:

 

Konzeption

Das Projekt sollte eine ganze "Site" umfassen, d.h. alle Text- und Bildobjekte sind in einer Baumstruktur organisiert, deren Äste aus einem Hauptstamm, der Einstiegadresse, abzweigen.

Welche Navigationsmöglichkeiten sollen dem Leser (Surfer) angeboten werden?

  1. Ein Objektverzeichnis, d.h. die chronologische Auflistung der Objekte nach der Paginierung der vorliegenden Buchausgaben. Der "Magister Tinius" und das "Schäferkreuz" bei Tetendorf sollte – nach Schmidtscher Manier – als Kleinod dem Projekt beigegeben werden, obwohl diese offiziell nicht zum Ahldener Lokalkolorit gehören.
  2. Der Leser kann sich mit einer Landkarte im geographischen Raum des Schauplatzes bewegen. Dazu mußten die Objekte zunächst lokalisiert und dann in die Karte als sogenannte "Hotspots" eingebaut werden.
    Hierzu war die Beschaffung weiterer Quellen sowie ein erneuter Ortstermin notwendig. Da einige Objekte nicht räumlich festgemacht werden können (z.B. der "Ringklib" oder Magister Tinius), ist das Objektverzeichnis umfangreicher als die Kartenfassung.
  3. Der Erzähler Walter Eggers unternahm in Ahlden nicht nur einsame Erkundungs- und Spaziergänge sondern auch "Besorgungsgänge" zum Bahnhof und zu den Postämtern in Ahlden und Hodenhagen. In der zweiten Hälfte des Buches finden sich auch gemeinsame Gänge mit anderen Personen (z.B. zum "Baugrundstück" und zum Schloß). Diese Wege galt es herauszuarbeiten und zu ordnen, damit Sie vom Leser nachvollziehbar werden. Auch für diesen Ansatz war ein weiterer Ortstermin erforderlich.

Realisierung

Nach dem ersten Ahlden-Besuch im Sommer 1997 begann im Frühjahr 1998 die "Durchforstung" des Romans auf alle "Ahlden-verdächtige" Textstellen. In dieser Phase wurden frühere Arbeiten (Michels, Huerkamp, Öztanil) außer acht gelassen, es sollte keine Tertiärliteratur zu erzeugt werden. Um möglichst vielen Lesern das Auffinden der Textstellen zu erleichtern, wurden in die Seiten-Konkordanz aufgenommen: die Bargfelder Ausgabe (BA), das Fischer Taschenbuch, 1991 (Tb) und der Reprint der Erstausgabe, 1956 (Rp). Der Text folgt der durchgesehenen Fischer-Taschenbuchausgabe (Frankfurt 1991) – hier wurden die in der Erstausgabe von 1956 aus juristischen Gründen und im Einverständnis des Autors revidierten Textstellen in ihrer ursprünglichen Form wieder abgedruckt. Für den Leser mußten die Schmidt-Zitate vom übrigen Text unterscheidbar sein. Wie in allen Bargfelder Ausgaben ist der Schmidt-Text durchgängig an der Serifenschrift TIMES erkennbar. Alle anderen Texte wurden serifenlos in HELVETICA gehalten. Nach Abschrift der Textstellen wurden die Seitenzahlen der beiden anderen Ausgaben herausgesucht.

Die vorliegenden Fotos aus LEISERING ("wie mich A.S. einmal grüßte") und die Ahlden-Postkarten des ersten Besuchs wurden den Texten zugeordnet – zu mehr als 3/4 der Fundstellen gab es kein Bildmaterial! Bei den Karten sah es noch schlechter aus: die Ahlden-Karte aus HUERKAMP, die Brandkarte von FREESE ("Von der Geschichte des Fleckens Ahlden") und der Vogellsche Plan bei ÖZTANIL waren von der Qualität nicht weiter reproduzierbar.

Zur Vorbereitung des zweiten Besuchs im Sommer 1998 wurde neben detailliertem Kartenmaterial auch ein Hausnummernverzeichnis benötigt. Das Verzeichnis mit den alten und neuen Hausnummern erhielt ich freundlicherweise von der Gemeindeverwaltung und die Blätter der Deutschen Grundkarte 1:5000 wurden mir vom Landesvermessungamt Hannover bzw. dem Katasteramt Soltau zugeschickt. Durch das Häuserverzeichnis und die bereitwillige Auskunft der Ahldener konnten schließlich alle Objekte lokalisiert und ebenso in die Karten eingetragen werden wie die von Schmidt seinerzeit eingezeichneten Straßenlaternen.

Von den Fotos des Lokaltermins wurde eine Foto-CD angefertigt. Aus den nun vervollständigten Karten waren passende Ausschnitte zu bilden, die Objekte einzuzeichnen. Jedem dieser "Hotspots" wurde die Seite zugeordnet, die dem Leser / Surfer bei eintsprechendem "Mausklick" anzuzeigen war. Hier zeigte sich zum ersten Mal die Gratwanderung zwischen Bildqualität und Ladezeit (die Zeit, die für die Bildübertragung notwendig ist). Die 100 Fotos auf der CD hatten jeweils eine Größe zwischen 2 und 4 gefüllten Disketten! Alle Farbfotos wurden bis auf ein Fünfunddreißigstel ihrer Speichergröße reduziert. Bewußt sollte die Bildqualität hoch angesetzt sein - eben ein Bildband. Dies ist wegen der großen Datenmengen allerdings im Internet nicht üblich.

Das Problem der Ladezeiten wurde durch zwei Methoden reduziert:

  1. für das Blättern über das Objektverzeichnis, die Karte und Eggers' Wege wurde die Frame-Methode gewählt. Dabei ist im oberen Bildteil die Übersicht, im unteren Teil das Bild-/Textobjekt sichtbar. Die Größenaufteilung der beiden Fenster, sowie das Navigieren (Scrollen) in alle vier Richtungen kann vom Leser / Surfer selbst gesteuert werden.
  2. Innerhalb eines Bild-/Textobjektes sind Seitenreferenz und Originaltext so angeordnet, daß der Leser / Surfer bereits "anlesen" und sich auf die Szene einstellen kann. Im Verlaufe des Lesens sind dann auch die Bilder / Karten dazugeladen.

Durch die Teilung des Bildschirms in "Übersichtsteil" und "Inhalt" kann der Leser / Surfer schnell von einem Objekt zum anderen blättern. Mit der Zeit stellt sich dann ein "Schmökern" ein. Wo es angebracht schien, kann auch durch Querverweise von einem zum anderen Dokument gesprungen werden. Es wurde bewußt auf die Verwendung von Stilvorlagen verzichtet: jedes Dokument sollte sein eigenes Gesicht erhalten, um Stereotypie zu vermeiden. Die Angabe der Seitenreferenz, die Verwendung zweier Schrifttypen zur Unterscheidung von Original- und Anmerkungstext waren Regel genug. Um die Ladezeiten nicht unnötig zu verlängern, wurde auf Hintergrundeffekte verzichtet. Lediglich die Hintergrundfarben signalisieren dem Leser / Surfer, ob er sich in einer Übersicht (Grau), im Dokument (Beige) oder im Anhang (Blau) befindet.

Neben den drei oben beschriebenen Einstiegen werden dem Benutzer an die Hand gegeben:

Anmeldung

Nachdem alle Karten, Dokumente und Fotos auf den Webserver geladen waren, mußte das Projekt bekanntgemacht werden. An erster Stelle wurden die "Arno Schmidt Instanzen" informiert: die Arno Schmidt Stiftung, die Gesellschaft der Arno-Schmidt-Leser, das Forum Bomlitz sowie die Sammler von Literaturverzeichnissen (Link-Listen): Ulrich Goerdten und Giesbert Damaschke.

Anschließend wurde das Projekt bei den gängigen nationalen und internationalen Suchmaschinen registriert und kann unter folgenden Stichworten gefunden werden: Arno Schmidt, Ahlden, Sophie Dorothea, Literatur, Landeskunde, Hannover. Die Registrierung wird unterschiedlich gehandhabt: bei einigen Diensten automatisch und "unzensiert" – andere nehmen zunächst eine redaktionelle Prüfung des Inhalts vor. Nach einigen Wochen war das Projekt Ahlden u.a. in der Literatur-Sammlung der Uni Konstanz "OLLI" vorhanden. Die OLLI-Sammler durchforsten das Internet nach interessanten Neuerscheinungen und liefern eine kurze Inhaltsangabe mit "*"-Bewertung. Last, not least bietet die GASL-Homepage einen Verweis auf das Ahlden-Projekt.

Ausblick

In Ahlden wurde ein Korrekturexemplar des Projektes in Papierform verteilt, um auch Nicht-Surfern die Möglichkeit der Mitsprache zu geben. Einige Rückmeldungen sind bereits eingetroffen. Voraussichtlich ab Frühjahr 1999 werden weitere s/w Fotos der 50er Jahre aus Privatbesitz den Bildband bereichern. Auch das Ohr liest dann mit (Glocken und Stundenschlag von St. Johannis):

» Schon holte die Turmuhr kraftvoll aus ( wie damals ! ) und ließ die 12 runden Koboldschalle runterpurzeln. Aufs Pflaster. - «